Alt, krank, verwirrt – wer sein Leben nicht mehr selbst organisieren kann, benötigt Hilfe. In immer mehr Fällen übernehmen dies sogenannte ‚Betreuer‘. Die schwarzen Schafe der Branche bedienen sich dabei gerne am Privatvermögen der hilflosen Opfer.
Zeit ihres Lebens war Anna Christa eine sparsame Frau. Sie war Bäuerin in Göggingen bei Augsburg. 2000 starb sie in einem Pflegeheim. Eigene Kinder hatte Anna Christa nicht. Rudolf Lauterbacher ist Großneffe der Verstorbenen, für ihn brachte die Nachlasseröffnung eine böse Überraschung. Rudolf Lauterbacher: „Es ist im Vorfeld von einem Testament geredet worden. Als dieses Testament bie der Nachlasseröffnung nicht da war und auf einmal alles abgestritten wurde, es hätte niemals eines gegeben, hab ich angefangen zu recherchieren.
Am Ende ihres Lebens bekomnmt Anna Christa eine amtlichen Betreuer. Mit 85 Jahren wird sie schwer krank. Das Vormundschaftsgericht Augsburg bestimmt einen Beamten der Stadt. Dieser Betreuer kümmert sich fortan um Ann Christas Vermögen, und das war, wie ihr Großneffe feststellt, gar nicht so klein. Lautenbacher: „Es waren Grundstücke und Guthaben in Höhe von 87.000 Mark da und sie hatte ja immer noch ihre monatlichen Eingänge, die Miete, die Pacht.“
Mitten im Augsburger Stadtteil Göggingen steht das Haus, das Anna Christa gehörte. Neben ihren eisernen Ersparnissen hatte sie noch eine kleine Rente und zusätzliche Einnahmen aus Miete und Pacht – insgesamt run 2.000 Mark pro Monat. Dennoch reichte nach zwei Jahren das Geld nicht mehr.
In den Akten entdeckt Großneffe Rudolf Lauterbacher nach dem Tod der Großtante einen dubiosen Grundstücksdeal des Betreuers. Lautenbacher: „Wenn man in der Vormundschaftsakte nachliest, dann argumentiert er so, dass jetzt das Barvermögen alles verbraucht ist. Um weiter die Heimkosten und die Kosten decken zu können, muss man nun die landwirtschaftlichen Flächen, die beiden Wiesen, wie er dokumentiert hat, verkaufen.“ Eine der beiden angeblichen Wiesen war die Hälfte eines Grundstücks – damals im Wert von mindestens 700 Mark pro Quadratmeter. Der Betreuer wollte für 4,60 Mark verkaufen. Rudolf Lauterbacher zeigt Frontal21 das Wiesen-Grundstück: „Das war nie landwirtschaftliche Fläche. Schauen Sie sich das mal an, da ist ja rundherum alles bebaut.“
Anna Christas Geld ist weg, ihr Grundstück wurde deutlich unter Wert verkauft. Der amtlich bestellte Betreuer will sich dazu vor der Frontal21-Kamera nicht äußern. Dafür ermittelt der Staatsanwalt wegen des Grundstücksdeals. Reinhard Nemetz, leitender Oberstaatsanwalt, Augsburg: „Der Verkauf erfolgte – so unser Verdacht – an eine Strohfrau, die von diesem Betreuer mutmaßlich engagiert wurde, so dass letztlich er der wirtschaftliche Berechtigte hinsichtlich dieser Grundstücke war. Das Ganze flog dann auf, so dass dann zumindest der Verkauf eines dieser Grundstücke rückabgewickelt wurde. Aber zunächst einmal – und dies ist strafrechtlich relevant – ist, so unser Verdacht, ein Schaden um die 560.000 Mark zum Nachteil des Mündelvermögens entstanden.“
Augsburger Richter haben den Betreuer für Anna Christa eingesetzt und sie müssen den Betreuer auch kontrollieren. Schließlich werden alle Ausgaben aus dem Vermögen der hilflosen Menschen bezahlt. Doch der oberste Richter räumt freimütig seine Ohnmacht ein. Werner Möstl, Präsident Amtsgericht Augsburg: „Das ist eine komplizierte Sache mit der Kontrolle. Nach dem Gesetz ist selbstverständlich das Vormundschaftsgericht verpflichtet, die Tätigkeit des Betreuers zu kontrollieren. Nur in der Praxis stößt man da ziemlich schnell an Grenzen.“
Im Klartext heißt das, die Richter prüfen grob, ob die Abrechnungen des Betreuers irgendeinen Sinn machen könnten. Hilflose Menschen wie Anna Christa sind so in der Hand ihrer Betreuer und die haben eine ungeheure Macht.
Fachleute kritisieren die mangelhafte Kontrolle der Betreuer: „Die Öffentlichkeit stellt sich gar nicht vor, was hier möglich ist. Der Betreuer übernimmt praktisch die Lebensfunktion des Betreuten. Er kann alles machen. Er kann ihm verbieten zu telefonieren, er kann in alle Schränke reingehen, er kann das gesamte Vermögen praktisch sicherstellen, er kann über den Aufenthalt entscheiden. Das is eine unglaubliche Machtfülle, die man sich nach außen gar nicht vorstellen kann und die man erst erlebt, wenn man in dieser tragischen Situation ist, dass man ein Betreuungsfall ist, man hat nichts mehr zu sagen, das Leben hat aufgehört.“
Kontrolleure – wie die Augsburger Richter – erleben, dass für Betreuer in Deutschland keine besondere Qualifikation verlangt wird. Trotz der besonderen Verantwortung gibt es nicht einmal eine Ausbildung. Fast jeder kann Wehrlose betreuen. Werner Möstl, Amtsgericht Augsburg: „Das ist ein bestimmter Kreis von Personen, der im Lauf der Zeit immer wieder zu Betreuungen herangezogen wird. Dazwischen kommen auch immer wieder neue Namen. Ich habe von einer Rechtspflegerin gehört, da hat sicfh einer von sich aus gemeldet, der ist Taxifahrer und hat als Legitimation seine Taxilizenz vorgewiesen. Es ist schwierig, geeignete Personen zu finden.“
Über 12.000 Mark hatt der Betreuer Anna Christa in Rechnung gestellt. Zur selben Zeit hatte er noch 50 weitere Mündel, alles neben seinem Halbtagsjob als Beamter bei der Stadt.
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26.01.2006